Rede von Rolf Becker, Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN zum Beschluss über den Doppelhaushalt der Stadt Göttingen 2017/2018 am 17.03.2017

Es gilt das gesprochene Wort!

17.03.17 –

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da meine beiden Vorredner sich schon eingehend mit diesem Doppelhaushalt beschäftigt haben und der Kollege Wedrins die politischen Schwerpunkte rot-grüner Haushaltspolitik schon vorgetragen hat, werde ich mich auf einige wesentliche Themen konzentrieren, die in dieser Ratsperiode immer wieder relevant sein werden. Betrachten Sie die folgenden Bemerkungen und Vorschläge bitte als eine vernetzt aufeinander bezogene Sammlung und nicht als eine hierarchisch strukturierte Darstellung.

Jungen Menschen für die Entwicklung Göttingens gewinnen
Wir eröffnen insbesondere jungen Menschen im Schulalter zu wenige Möglichkeiten sich aktiv an der Entwicklung ihrer Stadt zu beteiligen. Wir müssen uns daher nicht wundern, wenn bei Kommunalwahlen so wenige junge Wähler*innen verstehen, warum es für sie Sinn machen sollte, zur Wahl zu gehen. Das muss sich dringend ändern. Wir brauchen passende Beteiligungsformen, sei es ein Jugendparlament oder Jugendräte. Wir sollten unter Federführung des Jugendhilfeausschusses und unter Beteiligung von Schülerräten, Stadtjugendring und Jugendorganisationen eine Planungsgruppe einrichten, die dem Rat spätestens in einem Jahr dazu einen ausgearbeiteten Vorschlag vorlegt.

Demokratische Partizipation besser gestalten
Um die Bürgerinnen und Bürger vor Ort bei der Gestaltung von Stadtteilen und Quartieren qualitätsvoller zu beteiligen, brauchen wir mehr Transparenz in unseren Verfahrensabläufen. Allerdings ist auch wahr, dass die Summe der Einzelinteressen von Bürger*innen, und seien sie auch noch so verstehbar, nicht immer dem Gesamtwohl des Gemeinwesens entspricht. Für die Wahrung dieses Gesamtwohls sind wir als Rat verantwortlich. Wir Grüne wollen Quartierbüros als Orte neuer qualitätsvoller Kommunikationsstrategien - und verweisen dazu nochmals auf die Begründung in unserem Antrag. Wir freuen uns, dass schon bald ein solches Quartierszentrum im Lönsweg entsteht, sozusagen als zu evaluierender Testfall für dieses neue Herangehen an Bürger*innenbeteiligung von Politik und Verwaltung.

Mobilität neu denken
Mobilität ist ein Grundrecht aller Bürgerinnen und Bürger und unser beschlossener Klimaplan Verkehr zeigt, wie es in Zukunft gehen soll. Aber die letzte Haushaltsbefragung zum Mobilitätsverhalten zeigt, wir hier drohen als Stadt in eine Falle zu laufen. Die Autofahrten im Kernbereich der Stadt nehmen wieder zu, die Fahrten mit dem Rad zwar auch, aber der ÖPNV verharrt, weil als zu unkomfortabel empfunden, auf der Stelle. Und das bei steigenden Kosten. Gut, dass wir jetzt anfangen, E-Mobilität bei den Bussen umzusetzen, um die Emissionen im Stadtbereich zu reduzieren, aber für die Göttinger Verkehrsbetriebe bedeutet dies erst einmal zusätzliche Kosten, und das ohne einen einzigen zusätzlichen Fahrgast. Der Umbau der GöVB zum Mobilitätsdienstleister kann so nicht gelingen. Wenn wir hier weitermachen wie bisher, wird der Betrieb mehr als 10 Mio. € Defizit im Jahr haben und wir werden uns hier im Rat und in der Öffentlichkeit in einem fruchtlosen Streit Linienkürzungen versus Fahrpreiserhöhungen verfangen.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma könnte eine Bürger*innenkarte für alle Menschen in Göttingen und den umliegenden Gemeinden bieten. Eine Bürgerkarte, die finanziert durch alle erwachsenen Einwohner*innen des Gebiets, allen eine ÖPNV-Mobilität ermöglicht. Die Grundidee kennen Sie vom Semesterticket für Studierende. Über diese Bürger*innenkarte und ihre Finanzierung müsste selbstverständlich erst einmal eine offene Diskussion mit den Bürger*innen geführt werden. Sicher kein einfaches Ansinnen, aber eines, dessen Umsetzung viele unserer Mobilitätsprobleme lösen würde, angefangen von der krankmachenden Luftverpestung im Kernbereich der Stadt, den Parkplatzproblemen und dem stockenden Verkehr, bis hin zur Reduktion der Unfallgefahr und Verbesserung der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Insbesondere unter sozialpolitischer Perspektive ein begrüßenswertes Projekt: Sind es doch überwiegend die weniger vermögenden Menschen, die an besonders schadstoffbelasteten Straßen wohnen und oft selbst über keinen eigenen PKW verfügen. Alleine allerdings können Kommunen den notwendigen Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs nicht finanzieren, hier sind Bund und Länder gefordert. Der Umbau der GöVB zum umfassenden Mobilitätsdienstleister würde aus unserer Sicht zudem die Verwirklichung der Emobilen CityLogistik und weitere Aufgaben mehr beinhalten.

Finanzierung der Kommunen sicherstellen
Die Auseinandersetzungen über die Entwicklungsperspektiven unserer Stadt werden im Wesentlichen über die Investitionen geführt, weil viele Investitionen nötig wären, unser Finanzmittel aber stark beschränkt sind. Extrem fällt dieses bei der Schaffung von Sozialwohnungen und bezahlbarem Wohnraum auf. Kommunen sind bei den Investitionen dieser Größenordnung völlig überfordert. Denn Kommunen sind seit Jahr und Tag dramatisch unterfinanziert, daran ändern auch einzelne Investitionspakete des Bundes nur wenig. Mittel mit dem entsprechenden Volumen - sagen wir in den nächsten 10 Jahren 100 Mio. € allein für Göttingen - können nur Bund und eher weniger das Land bereitstellen, obwohl dieses sich hier Mühe gibt.

Die rot-grüne Landesregierung hat in diesem Monat die Förderung des sozialen Wohnungsbaus für diese Legislaturperiode noch einmal deutlich aufgestockt, doch dies reicht nicht, um ausreichend Wohnungen im benötigten Segment zu bauen. Seit Anfang des Jahres 2017 sind neben zinslosen Darlehen auch Tilgungszuschüsse in Höhe von 15% der Darlehenssumme möglich. Damit können landesweit bis zu 7.700 Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen gebaut werden. Das geht an die Grenze dessen, was das Land leisten kann. Und zugleich ist es vollkommen unzureichend. Für sozialen und bezahlbaren Wohnungsbau brauchen wie ganz erhebliche Bundesmittel Kommunen können sich daher nicht noch eine Legislaturperiode im Bund leisten, in der die schwarze Null regiert und damit der Investitionsstau vor Ort wächst und wächst.

Zukunftsfeste Stadtentwicklung

  •  Wir müssen Neue Quartiere schaffen

Diese Stadt braucht bezahlbaren Wohnraum in neuen, sozial gemischten Quartieren mit Wohn- und Aufenthaltsqualität. Die Nähe zu Arbeitsplätzen sowie eine vollständige Infrastruktur von Stadtteilen spielen hier eine zentrale Rolle. Wir sollten den Zusammenhalt der Menschen stärken, indem wir mehr Begegnungsorte schaffen. Wir müssen die Lebens- und Wohnwelt der Stadt mehr nach Nord-Westen verschieben und die Qualitätsentwicklung von Quartieren vorantreiben, so dass Wohnen, Leben und Arbeiten besser zusammenpassen. Ich sehe uns mit der Erweiterung in Holtensen, dem Huthamaki Gelaende und den Entwicklungen in Grone und in der Nordstadt auf einem guten Weg.

  • Nachhaltige Investitionsplanung

Ausdrücklich warnen möchte ich davor, die Auszahlungen aus unserem unterfinanzierten Investitionshaushalt falsch zu gewichten. Investitionen in Gebäude mit kultureller Nutzung sind wichtig, müssen aber im Lot mit sozialpolitisch wichtigeren Vorhaben wie Wohnungsbau, Krippenausbau und Schulstättenentwicklung bleiben. Korrekturen sind hier von Nöten, den Mut dazu - siehe Logistikstandort - muss ein Rat manchmal haben. Als wir sahen, dass der Flächenfraß im Leinetal überhandnimmt, haben wir beim GVZ IV auf die Bremse getreten, das war gut so.

  • Stärkung des Wirtschaftsstandorts

Fakt ist: klassische Industriearbeitsplätze werden aus dieser Stadt verschwinden. Daher müssen wir den Umschwung schaffen und die Wirtschaftszweige stärken, die nachhaltig wachsen. Für Göttingen sind dieses insbesondere forschungs- und innovationsnahe Arbeitsplätze in Industrie- und Dienstleistungssektoren. Die Gesellschaft für Wirtschaftsförderung muss daher auch in Kooperation mit Hochschulen und den Max-Planck-Instituten Forscher*innen und Gründer*innen noch mehr als bisher zeitnah unterstützend zur Seite stehen, um Unternehmensgründungen aus diesen Bereichen Fläche und Gewerberäume zur Verfügung stellen zu können. Dazu braucht die GWG sicherlich auch noch mehr Eigenkapital.

  • Lebenslanges Lernen

Die Bildungsregion ermöglicht es uns, ein Cluster von Bildungsangeboten vom Kleinkind- bis zum Erwachsenenalter zu entwickeln, hier darf jedoch bei den Übergängen niemand verloren gehen. Neben Krippe, Kita, und klassischer Schulbildung müssen wir auch dringend den Bereich Umschulung/ Umorientierung von Arbeitnehmer*innen ausbauen. Wir müssen Göttingen somit noch umfänglicher als Bildungs- und Ausbildungsregion begreifen. Das betrifft nicht nur gute Schulen und Fortbildung für Akademiker*innen. Vielmehr sollten wir in Kooperation zwischen Betrieben und der VHS und anderen Bildungsträgern ein Fortbildungsnetz für ein lebenslanges Lernen von Berufstätigen spannen, um dadurch die sich wandelnde Arbeitswelt in die Lebensarbeitszeiten der Menschen neu einpassen zu können.

  • Kultur, Soziales, Sport: weiche Standortfaktoren für eine liebenswerte Stadt

Wir verbreitern und stärken mit diesem Doppelhaushalt das Angebot im kulturellen, sozialen und sportlichen Bereich; soweit die gute Nachricht. Wir bewegen uns dabei allerdings mit den zugesagten Subventionen auch an den Rand der Möglichkeiten dieses städtischen Haushalts. Das heißt auch, dass jede Verringerung unserer Einnahmen die bange Frage mit sich bringen wird, wie wir bei den Subventionen nachkorrigieren. Die weiter ansteigenden Bezuschussungen insbesondere bei den großen Einrichtungen wie Deutsches Theater, Göttinger Symphonie Orchester, etc. können somit kein nachhaltiger Weg der Förderung von Kultur sein.

Daher stellen wir die Frage, der allzu viele allzu gerne ausweichen: Wieviel immer teurer werdende Hochsubventionskultur verträgt Göttingens Haushalt?

Wir wissen alle, dass eine Erhöhung der aktuell zu mehr als 2/3 subventionierten Eintrittspreise auf wenig Gegenliebe stoßen wird und somit ihre Grenzen hat. Was aus meiner Sicht bleibt, ist eine Deckelung der Ausgaben, wie wir sie beim Jungen Theater schon umgesetzt haben. Einrichtungen wie das DT oder das GSO müssten dann mit der von Land, Stadt und Kreis zur Verfügung gestellten Summe Geldes auskommen. Beim GSO stellt sich, als immer wieder auch von Landesseite gepriesenem Kulturbotschafter des Landes Niedersachsen, zudem die Frage an das Land, warum nicht auch die Region Südniedersachsen eine kulturelle Landeseinrichtung erhalten könnte, zumal das GSO die Mehrheit seiner Konzerte auch jetzt schon außerhalb Göttingens gibt. Ich möchte sagen, wer sich auch auf längere Sicht ein GSO dieses Umfangs und dieser Qualität in Göttingen wünscht, kann nur das Land drängen, dieses als Landesorchester zu betreiben. Ganz generell gilt: Wenn wir als Rat der Entwicklung einfach ihren freien Lauf lassen, werden die Kosten für die großen Einrichtungen die Möglichkeiten des städtischen Haushalts übersteigen und in Konsequenz die Vielfalt der kulturellen, sozialen und sportlichen Angebote nach und nach aufzehren.

  • Klimaschutz schützt Menschenleben

Wir müssen Klimaschutz und Lebensschutz zusammen denken. Emissionen sind für heutige Menschen schädlich und verschlechtern die Lebenschancen unserer Kinder. Mit dem Auto auch kurze Strecken zurückzulegen mag praktisch sein, wird jedoch in der Masse zum echten Problem, insbesondere in dichter bebauten Gebieten. Viele Erkrankungen lassen sich auf eine zu hohe NOx-Konzentration zurückführen. Deshalb sind alle Städte, auch wir hier in Göttingen, angehalten, Strategien für eine umwelt- und gesundheitsfreundlichere Mobilität umzusetzen, bevor sie von Gerichten dazu gezwungen werden. Immer noch gilt, Fahrradfahren ist die preiswerteste, umweltfreundlichste und schnellste Fortbewegungsmöglichkeit unter 5 Kilometer in einem Stadtgebiet und erhält mit dem E-bike ganz neues Potential für Pendler*innen aus dem näheren Umland. Beides nutzen wir bisher in viel zu geringem Umfang aus. Diese Stadt und ihr Umland brauchen dringend und zeitnah das Angebot eines qualitätsvollen Fahrradroutennetzes im Stadtgebiet und die Anbindung der Pendlerorte des Umlandes. Wir sind gerne bereit nach einer zügigen Verabschiedung des Fahrradwegenetzes in einem Nachtragshaushalt dafür Investitionsmittel zur Verfügung zu stellen.

  • Stärkung der Innenstadt - als Begegnungsort

Die Attraktivität der Innenstadt wird alleine durch Einkauf und Handel nicht mehr weiter wachsen, sondern bestenfalls stagnieren. Wir müssen die Innenstadt daher mehr zum authentischen Begegnungsort mit hoher Aufenthaltsqualität im attraktiven öffentlichem Raum ausbauen und zudem mehr Wohnumfeldgestaltung realisieren, damit wieder mehr Menschen auch mit Kindern hier gerne wohnen. Übrigens: Die Parkplatzdiskussion, die ProCity zum x-ten Mal wieder neu anfacht, geht an der Realität vorbei. Tatsache ist, dass die Göttinger Parkgebühren im Straßenraum der Kernstadt und in den Parkhäusern zu niedrig sind, als dass sich ein Bau von qualitätsvollen Parkflächen in Parkhäusern für Investoren lohnen würde. Das zeigt der Preisvergleich mit Städten, die ein qualitätsvolles und durchdachtes Parkplatzsystem in der Innenstadt schaffen konnten.

Neubürger*innen willkommen heißen

Zuwanderungen insbesondere aus der EU findet in Göttingen seit Jahren statt. Wir heißen diese Menschen herzlich willkommen. Andere Menschen sind vor Krieg und Terror unter widrigsten Umständen zu uns geflüchtet. Auch den Geflüchteten wollen wir nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern eine neue Heimat in Göttingen geben. Dazu braucht es einen langen Atem. Es müssen Investitionen getätigt und vielerlei Barrieren beseitigt werden. Doch wir sind der Überzeugung, dass es sich lohnt, dass es sich dabei um Zukunftsinvestitionen handelt, die uns guttun, menschlich wie wirtschaftlich. Denn in einer alternden Gesellschaft, in der sich zunehmend ein Fachkräftemangel bemerkbar macht, können Hinzugezogene eine dynamische Stütze sein.

Stärkung von Oberzentrum, Region und interkommunaler Zusammenarbeit

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig, wenn wir die Kooperation mit unserem Umland, auch gerade mit den umliegenden Gemeinden Rosdorf, Bovenden, Dransfeld und Gleichen intensivieren. Es ist aber genauso richtig, dass wir uns nicht scheuen dürfen, den Ausbau der Funktionen eines Oberzentrums in Südniedersachsen selbstbewusst auf den Feldern Wirtschaft und Einzelhandel, Medizin und Forschung, Bildung und Kultur zu betreiben. Denn, wenn die Stadt Göttingen als Oberzentrum wächst, dann bringt dies letztlich ein Gewinn für die ganze Region mit sich.

Vielen Dank.

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