Rede zur Einbringung des Haushalts 2021 von Rolf Becker

12.03.21 –

Anrede,

wir beschließen heute einen Haushalt, der trotz Corona-Krise die nötigen Investitionen insbesondere in Klimaschutz, Bildung und sozialen Zusammenhalt in Zentrum stellt. Ich bin davon überzeugt, dass es uns gelungen ist, hier die richtigen Prioritäten zu setzen.

Unsere 7 Strategischen Ziele der Stadt Göttingen haben wir nochmal mehr auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz ausgerichtet. Dies werde ich Ihnen in meiner Rede verdeutlichen.

Erstens: Wir haben die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen unter besonderer Berücksichtigung von Klimaschutz, Klimaanpassung und Biodiversitätzum Leitgedanken der Stadt Göttingen gemacht. In den strategischen Zielen ist der Klimaschutz damit auf Platz eins gerutscht. Warum? Weil wir das den Menschen in dieser Stadt schuldig sind, denn wir als Rat der Stadt sind es, die Sorge dafür tragen müssen, diese Stadt für die Menschen, die in ihr wohnen, auch künftig gut bewohnbar zu machen. Klimaschutz ist in erster Linie Menschenschutz und damit IMMER Sozialpolitik. Jeder Versuch, Klimaschutz und Sozialpolitik gegeneinander auszuspielen, muss zwangsläufig scheitern. Auch wenn ein Teil dieses Rates davor noch die Augen verschließt: Wenn wir nicht wie alle großen Industrienationen auch viel schneller und radikaler CO2 einsparen, dann treffen die Folgen des Klimawandels die Ärmsten am Härtesten, nicht nur in der Stadt Göttingen, sondern überall auf dieser Welt. Daher kann unsere Antwort darauf nur sein, CO2 deutlich schneller und höher zu bepreisen UND diese Einnahmen fair umzuverteilen. In den 17 UN Nachhaltigkeitszielen geht es daher ganz bewusst um mehr als Klimaschutz: Diese Ziele bringen zusammen, was nicht auseinander zu dividieren ist. Sie fordern: keine Armut, keinen Hunger, Gesundheit und Wohlergehen, hochwertige Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen, bezahlbare und saubere Energie, menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum, Industrie, Innovation und Infrastruktur, weniger Ungleichheiten, nachhaltige Städte und Gemeinden, nachhaltiger Konsum und Produktion, Maßnahmen zum Klimaschutz, Schutz des Lebens im Wasser und an Land, Frieden, Gerechtigkeit, starke Institutionen und: Partnerschaften zur Erreichung der Ziele.

Unser zweites Ziel heißt Göttingen Stadt mit Lebensqualitätfür Alle. Dieses Ziel lässt sich auch lesen als Ausdifferenzierung der Nachhaltigkeitsziele. Wir wollen Investitionen in mehr Grün und mehr Wasser, auch und gerade im Lebensort Innenstadt. Die Steigerung der Lebensqualität im öffentlichen Raum ist der Schlüssel zur Zukunft der Innenstadt. Daher auch unser Drängen auf die Sanierung des Wochenmarktes, auf einen Aufenthaltsraum Albaniplatz und den Abbau der Straßenparkplätze. Wir wollen die Plätze in der Innenstadt für die nicht so privilegierten Familien vorhalten, die in engen Wohnungen ohne Balkone oder Gärten leben. Nicht nur in der Pandemie brauchen diese offen und grün gestaltete Plätze in der Innenstadt für sich und ihre Kinder als Aufenthaltsraum.

Die Digitalisierung des Handels erfordert den Wandel der Innenstadt. Kaufen geht vom Sofa aus. Künftig wird nicht der Handel im Zentrum stehen, sondern der Mensch mit seinen Bedürfnissen nach Begegnung und Erleben-Wollen. Wir brauchen ein umfassendes Innenstadt-Umbauprogramm – auch zur Unterstützung des Innenstadthandels. Wir machen die Stadt klimafreundlicher, attraktiver, sicherer: Sie lädt ein zum Musizieren, Theater spielen, gemeinsamen Arbeiten. Dazu wollen wir das Bundesprogramm zur Stärkung der Innenstädte voll nutzen. In der Stadt der Zukunft fühlen sich Bewohner*innen der Stadt genauso wohl wie Menschen aus der Region, Einpendler*innen und Gäste. Wir schaffen eine neue Qualität der Erreichbarkeit und der gegenseitigen Rücksichtnahme durch ein Verkehrsleitsystem, das zu einer MobilitätsApp für alle Mobilitätsformen ausgebaut werden muss. Für alle diese Menschen machen wir unsere Stadt zukunftsfähig – auch den Stadtwald, er noch nachhaltiger und klimaangepasster gestaltet werden soll.

Wir wollen wirtschaftlichen Erfolg langfristig sicherstellen. Auch unser drittes Ziel: ein weiteres Nachhaltigkeitsziel (SDG Ziel). In der Stadt Göttingen möchten wir dazu das Life Science Valley stärken. Göttingen ist eine der führenden europäischen Standorte für die Life Sciences. Wir wollen den Göttingen Campus mit allen Kräften unterstützen, damit das so bleibt und in Göttingen in den Life Sciences noch mehr zukunftsträchtige Arbeitsplätze entstehen. Wir wollen eine flächenschonende Entwicklung von Gewerbe und dazu stärker mit den ansässigen Betrieben und den benachbarten Gemeinden kooperieren. Statt massig Asphalt, Beton und intransparenten Absprachen zwischen den Hauptverwaltungsbeamten soll es planvolle und öffentlich nachvollziehbare Entsiegelungen, Flächenkonversionen und Nachverdichtung, Verpachtung statt Verkauf und eine transparente Vertragsgestaltung geben.

Der Dragoneranger bleibt als Ackerfläche erhalten. Gewerbe, das den Nachhaltigkeitszielen widerspricht, brauchen wir nicht. Das ist ganz klar ein Erfolg der Bürgerinitiative und der Erfolg eines gelungenen, beispielhaft konstruktiven Dialogs zwischen Politik und Bürger*innen: Wir GRÜNE haben unsere Meinung geändert. Wir haben uns angesichts der Klimakrise eines Besseren belehren lassen und haben unseren Haushaltspartner überzeugt. Die Reaktionen aus der Bürgerinitiative Dragoneranger und aus der Bevölkerung zeigen: es lohnt sich den Weg der Bürger*innenbeteiligung aktiv weiter zu gehen und auszubauen – das ist Teil unserer grünen DNA!

Viertens: Die Gewährleistung des sozialen Zusammenhalts ist uns GRÜNEN eine Herzensangelegenheit. Wir erreichen das sowohl über sozialpolitische Maßnahmen als auch über den Ausbau der Infrastruktur, wie die Anlauf- und Begegnungszentren in den einzelnen Orts- und Stadtteilen. Wir stärken die vorhandenen Quartierszentren mit ihren vielfältigen Möglichkeiten: sie kümmern sich und sorgen für soziale und kulturelle Teilhabe, hören die Sorgen der Menschen und sind Plattform für bürgerschaftliches Engagement. Genauso wichtig sind die Familienhebammen und das Kinder- und Jugendtelefon für ein behütetes Aufwachsen von Beginn an. Nach Jahren zähen Ringens ist jetzt endlich auch gegen allen sozialdemokratischen Widerstand die Schaffung eines Familien- und Begegnungszentrums im Leineviertel in unmittelbarer Nachbarschaft zur Groner Landstraße 9 geplant. Wir bauen die Infrastruktur der Stadt so aus, dass sie die Menschen zusammenbringt und allen gleichermaßen nutzt. Das gilt für die Gestaltung des öffentlichen Raums, in der Innenstadt wie in den Wohngebieten: Die Stadt muss bespiel- und besitzbar sein, die Wege auch zwischen den Stadtteilen und den Gewerbegebieten fürs zu Fuß gehen und mit dem Rad fahren gut ausgebaut sein, daher haben wir hier die Investitionsmittel aufgestockt. Das in der Südstadt begonnene Nahmobilitätskonzept muss auf andere Stadtteile ausgeweitet werden. Für künftige Quartiere wollen wir gute Mobilitätskonzepte sicherstellen, bevor gebaut wird. Geld für die Erarbeitung eines Mobilitätskonzeptes für den Holtenser Berg und das Europaquartier ist gut investiert, wenn wir damit das Mobilitätsbedürfnis von allen Menschen unter Nutzung der vorhandenen Straßen befriedigen können. Das ist ein Gewinn für alle: Für die Menschen, für das Klima und für den städtischen Haushalt. Gute Busverbindungen gehören für uns unmissverständlich zur Daseinsvorsorge.  Es geht daher auch kein Weg vorbei an einem neuen Busbetriebshof, der die vollständige Umrüstung auf e-Mobilität ermöglicht und gleichzeitig die Umrüstung auf Wasserstoff eröffnet in einem neuen, dichter vertaktetem und differenzierteren Liniennetz.

Fünftens: Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit war schon immer die Steigerung und Stabilisierung der Bildungsgerechtigkeit. In Zeiten von Corona ist diese Aufgabe nicht kleiner geworden. Uns war es daher wichtig, bereits vor dem Haushaltsbeschluss ein Paket auf den Weg zu bringen, das den Infektionsschutz an Schulen sicherstellt. Jetzt muss die Umsetzung zügig erfolgen, auch an den KITAs. Alle Göttinger*innen, die der Stadt helfen möchten, diese zusätzliche Aufgabe zu erledigen, bitten wir um eine Spende auf das Konto 42. Wir als GRÜN-Rote Haushaltsmehrheit haben einen Sondertopf für den schnelleren Ausbau der Digitalisierung an Schulen geschaffen. Alle Schülerinnen und Schüler, egal wo sie wohnen, brauchen die gleichen Möglichkeiten, am digitalen Unterricht teilnehmen zu können. Gerne hätten wir als GRÜNE der Neuen IGS Planungssicherheit für eine neue Sporthalle gegeben.

Ebenfalls eng mit den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung verknüpft ist unser sechstens Ziel: Internationalität durch offene Willkommenskultur stärken. 2021 wird das Jahr, in dem die Verwaltung die Kooperationsvereinbarung „Wege ins Bleiberecht“ mit dem niedersächsischen Flüchtlingsrat unterzeichnet. Damit ist es möglich, Langzeitgeduldeten eine dauerhafte Perspektive in der Stadt Göttingen aufzuzeigen. Endlich wird unsere langjährige Forderung Wirklichkeit. 2021 wird auch das Jahr, in dem sich Göttingen voraussichtlich erstmals aktiv an der Unterstützung der Seenotrettung beteiligt. Die Verwaltung hat ein entsprechendes Papier in Arbeit, wir werden dieses konstruktiv begleiten. Es kann nicht mehr „nur“ um Integration gehen, sondern um echte Gleichberechtigung aller Menschen, die in unserer Stadt leben.

Unser siebtes Ziel ist bezahlbaren Wohnraum schaffen und erhalten. Auch hier gilt es, einen falschen Gegensatz praktisch aufzulösen: Wir brauchen nachhaltiges UND soziales Bauen. Nur zusammen wird ein Schuh draus. Auch Menschen mit wenig Geld haben mehr Bedürfnisse als ein Dach über dem Kopf. Sie brauchen ein lebenswertes Umfeld und die qualitätsvolle Begegnung mit Menschen. Sozialpolitik kann nicht länger heißen: Wir bauen billige Wohnungen und das war’s. Vielmehr muss Sozialpolitik heißen, Wohnquartiere mit Lebensqualität zu schaffen. Aufenthalts- und Spielräume für Menschen allen Alters, Quartierzentren und Familienzentren als Orte für Begegnung, Geselligkeit, gegenseitige Unterstützung und Beratung. Die Stadt verpflichtet sich ab jetzt danach zu streben, gemäß den Kriterien der „Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen“ (DGNB) zu bauen. Momentan heizen billige Bauten das Klima an und machen perspektivisch die Sommer im Dachgeschoss unerträglich. Wir brauchen auch hierauf eine Antwort: Fernwärme, Fotovoltaik, Dachbegrünung. Nachhaltiges Bauen und die Nutzung erneuerbarer Energien sind Sozialpolitik, wenn wir sie für alle erschwinglich machen. Und das ist unser Job.

Nicht zuletzt deshalb haben wir zu Beginn des Jahres das neue Referat für nachhaltige Stadtentwicklung an den Start gebracht. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

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