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14.12.09 Stadtratsfraktion: Ungehaltene persönliche Erklärung von Mehmet Tugcu zu Abschiebungen

Liebe VertreterInnen der Göttinger Presse,

in unserer Presseerklärung vom 4.12.2009 "Skandalöse Abschiebungspolitik von CDU und FDP" hat der integrationspolitische Sprecher unserer Fraktion und Vorsitzende des Göttinger Integrationsrates, Mehmet Tugcu angekündigt, heute im Rat der Stadt eine persönliche Erklärung abgeben zu wollen. Aus formalen Gründen wurde Herrn Tugcu heute leider nicht gestattet, seine Erklärung im Rat vorzutragen, weswegen wir Ihnen den Text seiner "ungehaltenen Rede" hiermit für Ihre Berichterstattung im Wortlaut zur Verfügung stellen möchten.

Persönliche Erklärung von Mehmet Tugcu im Wortlaut:

Sehr geehrte Mitglieder des Rates, liebe Anwesende,

ich möchte in meiner Eigenschaft als integrationspolitischer Sprecher der Ratsfraktion Bündnis
90/DIE GRÜNEN und Vorsitzender des Göttinger Integrationsrates eine kurze persönliche
Erklärung abgeben. Anlass ist die Reaktion des Landesinnenministeriums auf die Resolution
„Keine Abschiebungen in die Republik Kosovo“, die wir hier im Rat in der Sitzung am
11. September verabschiedet haben. Der Resolutionstext lautete:

Der Rat der Stadt Göttingen fordert die Niedersächsische Landesregierung auf...
1. unfreiwillige Rückführungen von Angehörigen der Minderheiten in das Kosovo nicht zu
veranlassen, und sich stattdessen für einen generellen Abschiebestop einzusetzen.
2. insbesondere für Angehörige der Sinti und Roma zusätzliche Integrationsmöglichkeiten in
die Gesellschaft zu eröffnen.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, das Rückführungsabkommen auszusetzen und anzuerkennen,
dass eine Rückführung von Minderheiten in das Kosovo unter den derzeit dort
herrschenden Bedingungen nicht möglich ist.

Darauf liegt nun seit dem 25. November ein Antwortschreiben des Landesinnenministeriums
vor. In diesem Schreiben wird die Verwaltung der Stadt aufgefordert, den Aufenthalt ausreisepflichtiger
Flüchtlinge aus dem Kosovo konsequent zu beenden, wenn diese nicht freiwillig
ausreisen. Die Weisung erfolgt mit dem ausdrücklichen Hinweis: „Ein Ermessen ist den Ausländerbehörden
nicht eröffnet“. Die in der Resolution geäußerten Bedenken zur Menschenrechtssituation
und wirtschaftlichen Lage im Land werden mit dem Hinweis auf angebliche
„Rückkehrhilfen, Beratung und Unterstützung“ vom Tisch gewischt, wobei die großzügige
„Rückkehrhilfe“ von der die Rede ist, großzügige 500 Euro ausmacht, genug um sich einen
Umzugswagen zu mieten. Zudem erklärt das Ministerium unmissverständlich: „Darüber hinaus
ist weder ein Abschiebestopp erlassen worden noch beabsichtigt.“ Alle Betroffenen hätten
die Möglichkeit gehabt, von der gesetzlichen Altfallregelung Gebrauch zu machen.

Der Tonfall dieses Schreibens ist an Selbstgefälligkeit kaum zu überbieten, sein Inhalt zynisch
und geradezu als Drohung zu lesen. Mich hat es extrem verärgert und ich möchte im
Namen der hier in Göttingen lebenden betroffenen Ausländer deutlich gegen die harte Haltung
der Landesregierung protestieren. Sie verweist auf Bundesrecht und tut als sei es einzig
ihre Pflicht, die Umsetzung geltender Bundesgesetze abzusichern. Das stimmt aber nicht.
Denn die niedersächsische Landesregierung selbst hat maßgeblich an den geltenden Ausländergesetzen
mitgeschrieben. Uwe Schünemann war in der Runde der zuständigen Landes-
und Bundesminister treibende Kraft als es darum ging, das Bleiberecht zu verschärfen
und eine Altfallregelung zu beschließen, die bei den geforderten Einkommensnachweisen
nicht einmal Ausnahmetatbestände für Alte, Kranke und Behinderte kennt. Schon dies alleine
ist ein Skandal. Diese Regelung wird auch nicht dadurch menschlicher, dass die Fristen
in der Landesinnenministerkonferenz vor wenigen Tagen um zwei Jahre verschoben wurden,
zumal die Ausgestaltung der Durchführungsbestimmungen in den kommenden Wochen den
Ländern überlassen bleibt. Angesichts der Erfahrungen der vergangenen Jahre ist dies für
die Betroffenen in Niedersachsen eine denkbar schlechte Nachricht! Sicher ist schon jetzt,
dass die Praxis der Kettenduldungen fortgesetzt wird und die Betroffenen weiterhin in Unklarheit
und Angst darüber gelassen werden, was in zwei Jahren mit ihnen passiert.
Diese Politik ist ein Skandal und muss ein Ende haben! Statt der Stadt ein solch zynisches
Schreiben zu schicken hätte die Landesregierung sich in der Innenministerkonferenz Ende
November für ein liberaleres Bleiberecht und eine abschließende dauerhafte Duldung einsetzen
können. Aber Herr Schünemann fühlt sich offenbar durch den Preis „Abschiebeminister
2009“, der ihm kürzlich verliehen wurde, geschmeichelt und ist fest entschlossen, ihn
auch zukünftig zu verteidigen.

Ich richte ganz bewusst auch einen Appell an die Göttinger Kirchen: Herr Schünemann und
Herr Wulff gehören einer Partei an, die das große „C“ im Namen trägt und sich ausdrücklich
auf christliche Werte beruft. Ich kann nicht behaupten, dass ich ein besonders profunder
Kenner des christlichen Wertesystems bin, aber ich kann die Bibel lesen. Und darin steht im
3. Buch Moses, Zitat: „Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt Ihr
nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und Du sollst ihn
lieben wie dich selbst.“ Mit dieser Buchempfehlung für Herrn Schünemann zu Weihnachten
und der Bitte um Unterstützung der Betroffenen möchte ich meine Erklärung beenden und
mich bedanken, dass Sie mir Gelegenheit gegeben haben, heute hier zu sprechen.

PDF der persönlichen Erklärung



Kontakt: Mehmet Tugcu, integrationspolitische Sprecher, Tel.: 0176-22239949

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